Vor ein paar Wochen haben wir ein leises Klingeln vom Elektromotorrad meiner Tochter vernommen. Zuerst haben wir geglaubt, es ist der AirTag an ihrem Schlüsselbund, weil die Batterie bald leer ist. Einige Tage später war ich im Keller und hab das Motorrad umgestellt, da klingelt es wieder leise. Dieses Mal konnte es nicht der Schlüsselbund sein. Also habe ich mich auf die Suche gemacht und tatsächlich: Unter dem Motorradsitz war ein fremder AirTag mit einem schwarzen Gaffa-Klebeband befestigt. Gut versteckt und sauber verklebt. Dem AirTag wurde mit einem schwarzen Permanentmarker die Aufschrift «Bike» verpasst.

Das Klingeln kam also vom besagten AirTag als Warnung, dass man schon mehrmals mit einem fremden AirTag in Berührung kam. Interessanterweise ist das Klingeln als Warnung so ähnlich wie das Klingeln, wenn die Batterie bald keine Energie mehr hat. Daher bin ich mir nicht sicher, wie lange der AirTag bereits mit dem Bike mitfährt. Was ebenfalls interessant ist, auf meinem iPhone gab es keine Meldung, welche mir aufgefallen wäre. Ob meine Tochter eine Warnung auf ihrem iPhone erhalten hat, das ist leider nicht mehr so klar.
Was hilfreich gewesen wäre, wenn man eine Art Historie hätte, in der man sehen könnte, wann man regelmässig mit fremden AirTags in Berührung kam. Allerdings scheint das nicht im iPhone festgehalten zu werden, zumindest nicht so, dass es für den Benutzer zugänglich wäre. Hätten wir die Möglichkeit, liesse sich allenfalls zurückverfolgen, seit wann der AirTag am Bike befestigt war.
Sofort stellt man sich die Frage, warum wurde der AirTag an dem Sur-Ron Elektromotorrad angebracht? Wollte jemand den geeigneten Zeitpunkt und Ort herausfinden, um das Elektromotorrad zu stehlen? Will jemand wissen, wann und wo sich meine Tochter befindet? Oder hat jemand ein anderes «Bike» gestohlen, den AirTag entdeckt und das nächstbeste Fahrzeug angebracht?
Wem gehört der Apple AirTag?
Mit dem iPhone habe ich dann den AirTag ausgelesen. Sofort erhält man die Seriennummer sowie die letzten drei Zahlen der Telefonnummer, unter welcher der AirTag registriert war. Mit diesen Informationen war schon mal ein einfacher Check möglich. War es jemand aus dem Umfeld meiner Tochter? Ein «Lausbubenstreich»? Ein heimlicher Verehrer? Doch keine der uns bekannten Telefonnummern passte zu den letzten drei Ziffern. Allenfalls zu einer Nummer der Eltern? Schliesslich wird es kaum einen Jugendlichen geben, der hier 29 Franken opfert für eine solche Überwachung. Aber auch da konnten wir keinen Treffer ausfindig machen.

Gefundenen AirTag der Kantonspolizei gemeldet
Also habe ich das Ganze an einem Samstagabend über ein Formular der Kantonspolizei Solothurn gemeldet. Mit Bildern vom AirTag und den ausgelesenen Informationen wie Seriennummer und die verschlüsselte Nummer des registrierten AirTag-Halters. Am Sonntag kam dann der Anruf der Kantonspolizei. Am Telefon wurde mir bestätigt, dass sich die Fälle von Verfolgung und Überwachung von Personen mittels AirTags aktuell häufen. Die Polizei verfügt über ein Formular, über welches sie die Identität der AirTag-Halter bei Apple anfragen kann. Aber die allermeisten der Anfragen werden schlicht und einfach von Apple nicht beantwortet.
Natürlich wird es die Kantonspolizei auch in meinem Fall tun, ich solle mir aber keine falschen Hoffnungen machen. Natürlich könnte die Staatsanwaltschaft die Herausgabe verlangen, aber das tut sie nicht. Warum nicht? Weil es in der Schweiz anscheinend nicht strafbar ist, einer anderen Person unwissentlich ein elektronisches Hilfsmittel unterzujubeln, um deren tägliches Bewegungsverhalten zu analysieren und den aktuellen Standort ausfindig zu machen! Ja, und genau so, wie du nun dreinschaust, habe ich ins Leere gestarrt, als mir die Polizei das am Telefon mitteilte. Es ist schlicht und ergreifend keine Straftat, jemanden auszuspionieren, über den aktuellen Standort oder wo sich die Person tagsüber aufhält, oder wo sie wohnt. Das alles bequem und unerkannt vom sicheren Sofa aus, ohne Gefahr zu laufen, gesehen oder erkannt zu werden.
Stalking ist in der Schweiz (noch) straffrei
Aktuell ist Stalking in der Schweiz noch kein eigener Strafbestand. Viele der unter Stalking fallenden Handlungen erfüllen in der Regel aber andere Straftatbestände, dann jedoch ist die Situation meiner Meinung nach schon eskaliert. Es geht um Tatbestände wie Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung, Erpressung, Drohung und Nötigung, Ehrverletzungen, Hausfriedensbruch und Missbrauch einer Fernmeldeanlage. Der letzte Punkt machte mich hellhörig: «Missbrauch einer Fernmeldeanlage». Ein AirTag von Apple ist grundsätzlich eine Fernmeldeanlage. Die Tags werden angeboten, um eigene Gegenstände zu lokalisieren. In dem man die AirTags anderen Personen, ohne deren Wissen unterjubelt und damit den Standort der Person ausfindig machen kann, missbraucht man also die AirTags. Jedoch scheint man das bei der Polizei bisher noch nicht so zu sehen.
Hat Apple die Gefahr des Missbrauchs unterschätzt?
Immerhin kann man fremde AirTags orten. Das leise Bimmeln der Tags hilft wahrscheinlich auch, wobei ich bei meiner Recherche nach dem Zusammenhang von Stalking und AirTags auch über Hinweise gestolpert bin, dass man den Lautsprecher relativ einfach deaktivieren kann. Was für mich unverständlich ist, ist die Tatsache, dass Apple nicht daran interessiert ist, die Identität der Stalker der Polizei preiszugeben.
Wie Apple helfen könnte, dass Apple AirTags nicht für Stalking missbraucht werden
Meiner Meinung nach ginge das mit wenigen Anpassungen. Die Warnung auf dem iPhone müsste wesentlich dominanter daherkommen. Aktuell geht die Meldung in vielen anderen Benachrichtigungen und Hinweisen unter. Hilfreich wäre auch eine Historie, wann man (mehrmals) mit fremden AirTags in Berührung gekommen ist. Insbesondere an der eigenen Heimadresse. Und das einfachste wäre, wenn Apple der Polizei die Identität der Stalker, nach Angaben der Seriennummer und den letzten drei Telefonnummer-Ziffern, bekanntgibt. Alleine schon ein Anruf der Polizei kann helfen, dass Stalker in den allermeisten Fällen sofort aufhören.
Wie geht es in unserem Fall weiter?
Wie es scheint, bleibt uns nur der Gewinn eines neuen AirTags. Denn in dem man die Batterie fünfmal einsetzt und wieder entfernt, kann man den AirTag komplett zurücksetzen und dann selbst verwenden. Höchstwahrscheinlich wird sich der Besitzer nicht freiwillig bei dir melden wegen des vermissten AirTag, weil dann ein Gespräch mit der Polizei doch noch stattfinden könnte. Vorerst setze ich den AirTag aber nicht zurück. Mal schauen, ob der bei uns platzierte AirTag nicht doch eine missbrauchte Fernmeldeanlage ist.
Bleibt wachsam, hört auf das leise Bimmeln und achtet auf eurem iPhone oder speziellen Apps genau darauf, ob ein fremder AirTag entdeckt wurde.